EDITORIAL
Mag. Gerold Permoser ist Chief Investment Officer (CIO)
der Erste Asset Management. In dieser Funktion
verantwortet er die gesamten Asset Management
Aktivitäten und Anlagestrategien aller Investmentfonds
der Erste Asset Management-Gruppe in Österreich,
Deutschland, Kroatien, Rumänien, der Slowakei,
Tschechien und Ungarn.
Liebe macht blind!
Am 16. Juli 1950 erlebte Brasilien vor über 200.000 Besucher im vollkommen überfüllten Maracanã-Stadion
von Rio de Janeiro sein Cordoba. Das de-facto-Endspiel der Weltmeisterschaft wurde 2:1 gegen Uruguay verloren.
Noch heute ein Ereignis, an das sich Brasilianer nur mit Schaudern erinnern.
64 Jahre später findet wieder eine WM in Brasilien statt und der Vergleich mit damals macht sicher: Sportgroßveranstaltungen sind nicht mehr das, was sie einst waren. Gespielt wurde 1950 in 6 Stadien, vier der sechs
Stadien hatten eine Kapazität von weniger als 30.000 Zuschauern und von den qualifizierten 16 Nationen nahmen
überhaupt nur 13 teil. TV-Übertragung, Merchandising, offizielle WM-Partner – Fehlanzeige! Heute sind die Fußball-
Weltmeisterschaften (oder auch die Olympischen Spiele) global zelebrierte Megaevents, die auf eindrucksvollste
Art und Weise zeigen, wie flach die Welt im 21. Jahrhundert geworden ist. Derartige Großveranstaltungen sind
auch aus der ESG-Perspektive sehr interessant.
Stadien, die ohne Baugenehmigung errichtet werden und dann auch noch einstürzen (Brasilien), vollklimatisierte
Megastadien mitten in der Wüste (Katar) und ohne Rücksicht auf Verluste in die subtropische Berglandschaft
gesprengte Schipisten (Sotchi) zeugen nicht gerade von Umweltverträglichkeit. Aus sozialer Sicht nicht viel besser
sind (Zwangs-)Umsiedlungen für den Stadionbau (Peking), Unfallwahrscheinlichkeiten wie bei einer Mount-Everest-
Besteigung für Bauarbeiter (Katar) – die dann noch um ihr Geld betrogen werden (Sotchi), sowie Multimilliarden-
Budgets, die die legitime Frage aufkommen lassen, ob das Geld nicht auch anders als für Prestigeprojekte ohne
Nachnutzungsmöglichkeit eingesetzt werden könnte (praktisch überall). Und wer kann sich an das letzte sportliche
Großereignis erinnern, bei dem nicht Korruptionsvorwürfe – das klassische Governance-Thema schlechthin – laut
geworden sind. Er wäre kaum verwunderlich, wenn Korruption demnächst olympische Disziplin würde.
Aus diesem Grund hat die Erste Asset Management die Fußball-WM als Anlass genommen, um sich aus
ESG-Sicht mit Großereignissen und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zu beschäftigen. Verstehen Sie mich
nicht falsch: Ich bin vorbereitet. Der Spielkalender ist studiert, alle anderen Termine sind darauf abgestimmt
und mein neues Brasilien-Dress hängt bereits gewaschen im Schrank. Ich liebe die Fußball-WM. Aber bekanntlich
macht Liebe blind. Und genau darauf bauen alle jene, die mit Sportevents das große Geschäft auf Kosten von
E, S und G machen.
Herzlichst
Mag. Gerold Permoser
Chief Investment Officer (CIO)